Andreas

Kopftuchdebatte: Johannes Rau

Aus dem Interview von Bundespräsident Johannes Rau im ZDF:

ZDF: Aktuell in der Diskussion ist der Kopftuchstreit. Frankreichs Präsident Chirac hat jetzt angekündigt, das Kopftuch und andere deutlich sichtbare religiöse Symbole wie Kreuz oder Kippa aus den Schulen zu verbannen. Können Sie sich das für Deutschland vorstellen?

Rau: Bei uns ist die Situation anders. Bei uns ist die Kultur Länderhoheit, da hat das Verfassungsgericht dieses Thema zurückverwiesen. Ich bin aber der Meinung, wenn das Kopftuch als Glaubensbekenntnis, als missionarische Textile, gilt, dann muss das genauso gelten für die Mönchkutte, für den Kruzifixus. Das wird aber in Bayern etwas anders gesehen als im Rheinland. Ich selber komme aus einer reformierten Tradition. In der gibt es den Kruzifixus nicht als Symbol.

Ich bin für Freiheitlichkeit, aber ich bin gleichzeitig für Gleichbehandlung aller Religionen. Die öffentliche Schule muss für jeden zumutbar sein, ob er Christ, Heide, Agnostiker, Muslim oder Jude ist. Und es darf nicht durch religiöse Symbole, die der Lehrer mit sich trägt, eine gewisser Vorrang oder Vormachtstellung gesucht werden.

ZDF: Aber es wird doch niemand leugnen, dass wir in Deutschland aus christlichen Wurzeln leben und nicht aus islamischen.

Rau: Wir beide ja. Aber es gibt inzwischen 3,2 Millionen Menschen in Deutschland, die nach islamischen Wurzeln leben. Sie leben unter uns und sie sind damit nicht Bürger zweiter Klasse. Und deshalb müssen wir das, was der Islam an Glaubenskraft hat, auch anerkennen. Wir müssen nur darauf achten, dass nicht die Fundamentalisten das Sagen kriegen. Weder die muslimischen noch die christlichen, denn die gibt es auch. Wir müssen darauf achten, dass Toleranz nicht Beliebigkeit ist. Das man ein eigenes Glaubensprofil haben kann und haben muss, wenn man dem anderen begegnet, weil man ihn sonst nicht achten kann.
zeitgenossen - 1. Jan, 18:56

Und was ist an dem

Interview jetzt so weltbewegend? Er hat die Atheisten vergessen und Toleranz ist Beliebigkeit, insofern das blöde Wort nichts darüber aussagt, was man toleriert und was nicht. Diese ewige Unterstellung Toleranz hochzuhalten sei ethischer Relativismus, führt genau zu dem Fundamentalismus, den er ja nicht will.

andreas-hamburg - 1. Jan, 19:23

Nicht wirklich viel

Dafür waren die Reaktionen aber ganz schön heftig.

Ich bin ja schon froh darüber, dass es wenigstens mal ein Politker schafft (und ein gläubiger Christ dazu!), die Gleichbehandlung der Religionen vom Staat zu fordern.

Tolerant gegenüber wirklich allem sein? Ohne mich. Wenn elementare Menschenrechte eingeschränkt werden, hört bei mir die Toleranz gegenüber Religionen (und zwar allen) und Sitten und Gebräuchen auf.

Toleranz wird meist von denen am heftigsten eingefordert, die selbst die Intolerantesten sind.
zeitgenossen - 1. Jan, 19:35

Es ist eben

dieser letzte Satz. Wer sagt das? Woher wissen Sie das? Abgesehen davon, dass eine Toleranz gegenüber Intoleranz nicht geht. Ich wusste nichts über die Reaktionen, ausser, dass ich mich langsam dran gewöhne, das Nullaussagen Emotionen hervorrufen. Mir schwant eine Frage: Sagens mal, warens mal/sinds in einer email Liste eines Wirtschaftsmagazins?
andreas-hamburg - 1. Jan, 22:15

Ich und WIrtschaftsmagazine?

Ne, ne, mit so genannten Wirtschaftsmagazinen habe ich eher weniger am Hut und war auch noch nie in einer Mailingliste eines solchen. Ich bleib lieber bei TAZ, Freitag, Konkret, Jungle World.

Aber der Name des Wirtschaftsmagazins interessiert mich dann doch? Warum nur so nebulöse Andeutungen?

Der letzte Satz: Doch, ich glaube das geht. Ulfkotte ist so ein Beispiel (ich habe das Buch nicht gelesen; es soll eher schlecht sein, aber das ist nicht das Thema). Religiöse Eiferer aller Schattierungen fordern gern Toleranz ein und meinen Zensur, wenn sie sich von Ungläubigen beleidigt fühlen. Die Redakteure der Wahrheit-Seite der TAZ können auch ein Lied davon singen. Nachdem sie den Spottvers "Allah ist mächtig, Allah ist groß, 3,60m und arbeitslos" gedruckt hatten, gabs Drohungen und Prozesse. (Dazu gibt es leider keinen Link. Das habe ich aus meinem Gedächniskeller geholt.)

Rau sagt nicht viel. Ich habe hier aber einige Links zum Thema versammelt und der gehörte dazu. Vor allen wegen der Reaktionen der christlichen Politiker. Die finde ich spannend. Die verschlimmern das Problem und erzeugen wieder Fundamentalismus.
zeitgenossen - 2. Jan, 02:48

Ich wollte nicht nebuloes sein,

Brand eins, da hab ich mich schonmal über diese Tendenz gerade Ihrer von mir unterstellten Zielgruppe gewundert, Toleranz als Beliebigkeit oder ungerechtfertigt eingeforderte Schuld zu sehen und damit zu meinen eine Rechtfertigung der eigenen Intoleranz gefunden zu haben. Wie kleine Kinder, wie Du mir, so ich Dir. Dann wird noch kurz Kulturrelativismus (steht im Artikel zum Buch, das wir beide nicht gelesen haben) unterstellt und damit schon wieder Beliebigkeit, und reflexartig wird die Universalität der Menschenrechte beschworen. Diese immer gleiche Litanei geht mir auf den Sack, Kopftuchtragende am Arsch vorbei, das ist keine Toleranz, nein geradezu gekonntes Desinteresse ist es, das kann halt nicht jedeR und alle dürfen jetzt ein Augenverschliessen vor der Gefahr konstruieren.

Wahnsinnig witzig dieser Spottvers, aber es gibt zum Glück ja noch Drohungen und Prozesse, weil der Nachbar sagt, Deine Frau, die ist mächtig, Deine Frau, die ist gross 1,79 und ich ficke sie trotzdem.

Nachtrag: Was mir eben nicht am Arsch vorbeigeht, ist der Umgang mit dem Thema in unseren Breitengraden. Ich gestehe, ich habe ein paar Dellen in dieser Region.
andreas-hamburg - 4. Jan, 12:56

Vor welcher…

…Gefahr verschließe ich denn die Augen?

Ich wollte keine Dellen noch weiter eindellen.

Das Kopftuch ist nun mal das Symbol, an dem sich die aktuelle Debatte entzündet hat. Meiner Meinung nach müssen wir über alle religiösen Symbole in staatlichen Institutionen reden. Es geht mir nicht nur um den Islam. Der ist mit genauso sympathisch oder unsympathisch wie andere Religionen auch.

Was ist so furchtbar intolerant daran, die konsequente Trennung von Kirche und Staat zu fordern?

Denn darum geht es in der deutschen Diskussion. Anders in Frankreich: Dort geht es auch um religiöse Symbole, die Schüler tragen und zeigen.

Ich bin für die Trennung von Kirche und Staat, aber auch für die Gleichbehandlung aller Religionen und auch der Atheisten. Fordere ich also, dass Lehrkräfte religiöse Symbole nicht tragen dürfen, so muss dies für alle gelten.

Privat kann meinetwegen jeder seine Religion leben wie er will. Unter der Bedingung, dass keine Rechte Dritter verletzt werden. Darf ein Mann aus religiösen Gründen seine Frau zwingen, ein Kopftuch (oder mehr) zu tragen? Seine Kinder vom Schulunterricht fern halten? Bildung verweigern? Ein weites Feld!

Im Hintergrund läuft natürlich noch eine andere Debatte: Die um die viel beschworenen „Werte“. Konservative und kirchliche Vertreter stellen sich auf den Standpunkt, Deutschland (oder gleich ganz Europa) sei nun mal ein christliches Land, das Christentum gehöre zur „Leitkultur" und habe daher besondere Rechte. Dies lehne ich ab.

Und zu dem Buch und zu dem platten Spottvers: Wie blöd, platt oder was auch immer eine Meinungsäußerung auch ist: Sie muss gesagt und veröffentlicht werden dürfen. Es gibt keine Pressefreiheit, wenn man üble Blätter wie Bild verbietet. Oder platte Sprüche verbietet. Dann muss es nämlich einen Zensor geben und dann ist es vorbei mit Meinungsfreiheit.
zeitgenossen - 4. Jan, 22:03

Ich entschuldige mich,

hatte eine Diskussion zu Ihnen herübergetragen ohne Sie zu fragen. Meine Dellen vertiefe ich auch ganz gut selber, bin keine Verfassungsrechtlerin, weil ich das Studium schmiss, mag keine Spottverse, weil Ironie was nicht so ist, und so hoffe ich auf hitzige Disussionen mal mit Ihnen.
andreas-hamburg - 5. Jan, 13:37

Kein Grund

für Entschuldigungen.

Jurist bin ich auch nicht. Bloss ITler auch mit anderen Interessen.

Auf hitzige Diskussionen jederzeit!

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