Andreas

Staat und Religion

Evangelischer Bischof Wolfgang Huber zur Kopftuchdebatte

In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau äußert sich der evangelische Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Wolfgang Huber zum Kopftuchstreit:

FR:Ein anderes Thema. Was halten Sie vom Vorstoß des Bundespräsidenten im Kopftuchstreit?

Huber: Dem Ausgangspunkt stimme ich zu: Religiöse Symbole müssen im Blick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit gleich behandelt werden. Doch das Tragen des Kopftuchs ist nicht umstritten, weil es ein Ausdruck des islamischen Glaubens wäre, sondern weil es ein politisches Symbol ist. Die Kopftuchpflicht stammt nicht aus dem Koran, sondern gehört in den Entwicklungszusammenhang des Islamismus. Das hat der Bundespräsident gar nicht angesprochen.

FR: Johannes Rau sagt, bei einem Kopftuchverbot sei die Mönchskutte in der Schule nur schwer zu rechtfertigen.

Huber: Seit Geltung des Grundgesetzes gab es meines Wissens keinen Konflikt über das Tragen einer Mönchskutte in einer öffentlichen Schule. Man sollte deshalb nach meiner Auffassung Lösungen suchen, die den Konfliktbereich nicht in unnötiger Weise ausdehnen. Der durch Tradition, Recht und Verfassung definierte Charakter der Schule im jeweiligen Bundesland ist zu berücksichtigen. Auch schulspezifische Gesichtspunkte sind unter Umständen zu beachten. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht nun die Regelung durch ein allgemeines Gesetz gefordert hat, sollte man es vermeiden, das Problem nach der allzu deutschen Methode "Alles oder nichts" zu lösen.

FR: Gibt denn nicht das Bundesverfassungsgericht im Kopftuchurteil Gleichbehandlung aller Religionen als Richtschnur vor?

Huber: Die Gleichbehandlung aller Religionen im Blick auf die persönliche Religionsfreiheit gibt nicht das Gericht, sondern das Grundgesetz vor. Ich bejahe sie ausdrücklich. Ich halte aber für problematisch, wie schon in dem Urteil die Regel auf unterschiedliche Symbole angewandt wird. Ich sehe keinen Grund dafür, dass sich der Gesetzgeber sklavisch an solch problematische Überlegungen hält. Insbesondere muss er berücksichtigen, dass man weder das Kopftuch selbst noch die Behauptung, jemand sei zum Tragen des Kopftuchs verpflichtet, einfach als religiöses Symbol bezeichnen kann. Die große Mehrheit der Muslime in Deutschland lehnt eine solche Pflicht ausdrücklich ab. Ihrer Integration jedenfalls wäre mit der Anerkennung einer Kopftuchpflicht für öffentliche Schulen also nicht gedient. Es fällt mir deshalb schwer zu verstehen, warum behauptet wird, die Zulassung des Kopftuchs sei um der Integration der Musliminnen und Muslime in unserer Gesellschaft willen notwendig. Auch in dieser Hinsicht rate ich zu einer behutsameren Argumentation.

Kopftuchdebatte: Raus „Welt am Sonntag“-Interview

Als Ergänzung und Reaktion Raus auf die Kritik das Interview Raus in der Welt am Sonntag:

WamS: Wie können die unterschiedlichen Kulturen und Religionen in Deutschland besser zueinander finden?

Rau: Durch den Dialog miteinander. Aber das Problem dabei ist, dass man immer nur die Gutwilligen an einen Tisch bekommt. Die Fundamentalisten sind nicht gesprächsbereit - weder muslimische noch die christlichen oder jüdischen. Wir dürfen Toleranz nicht mit Beliebigkeit verwechseln. Für einen erfolgreichen Dialog muss man eine Überzeugung haben, zu der man steht. Und den Menschen, die zu uns kommen, müssen wir deutlich machen: Unsere Integrationspolitik ist ein Angebot, auf den Boden des Grundgesetzes zu kommen. Das heißt, wer zu uns kommt, darf seine kulturelle Tradition, seinen persönlichen Glauben mitbringen, aber er darf nicht die Frauen herabwürdigen, die Meinungsfreiheit infrage stellen. Es gibt bei uns Grundrechte, die müssen für alle gelten, und die müssen auch alle respektieren.

WamS: Was bedeutet das im Hinblick auf den aktuellen Streit um das Kopftuch in Schulen? Sie haben mit Ihren Äußerungen dazu ja auch Kritik erfahren ...

Rau: Ja, allerdings hat mancher Kritiker offenbar nur die Überschriften gelesen. Ich habe mich ja nicht für oder gegen Kopftuch tragende Lehrer ausgesprochen. Ich weise allerdings darauf hin, dass die Entscheidungen, die jetzt in den Ländern dazu getroffen werden, auch konsequent sein sollten. Das heißt: Wenn man das Kopftuch als religiöses Erkennungszeichen an Schulen verbietet, kann man die Mönchskutte nur schwer verteidigen. Unsere Verfassung gebietet eine Gleichbehandlung der Religionen im öffentlichen Raum, also auch in den Schulen. Damit wird ja nicht unser christliches Erbe infrage gestellt. Ob wir weiterhin ein christlich geprägtes Land bleiben, hängt nicht davon ab, wie viele Menschen in Schulen welche Bekleidung tragen. Das hängt allein davon ab, wie viel überzeugte und glaubwürdige Christen es in unserem Land gibt.


Und vielleicht noch einmal zur Klarstellung: Ich zähle mich nicht zu den Christen.

Kopftuchdebatte / Frankreich: Chiracs "Weise" wollen Kopftuch, Kippa und Kreuz verbannen

Aus einem Artikel in der Frankfurter Rundschau:

"Es gibt an den Schulen Verhaltensweisen, die nicht länger geduldet werden können; und es gibt Gruppierungen, die die Republik destabilisieren wollen": Bernard Stasi, Vorsitzender der von Präsident Jacques Chirac eingesetzten "Kommission über die Laizität", ließ keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, "die Grundwerte der Republik zu verteidigen". Es sei, so Stasi bei der Übergabe des Berichts am Donnerstag an Chirac, "an der Zeit, dass die Republik antwortet".

Das Gremium, dem Philosophen, Lehrer, Soziologen, Theologen, Politologen und Abgeordnete angehören, hatte seit dem Sommer mehrere hundert Personen nach ihren Erfahrungen in der französischen Gesellschaft öffentlich befragt. Dabei sei es, so Stasi , der Kommission nicht um die Frage gegangen, "ob das Tragen eines Kopftuches an der Schule verboten werden soll oder nicht". Vielmehr hätten die 20 "Weisen" die Grundlagen der Laizität "neu gedacht".

Das republikanische Prinzip der Trennung von Kirche und Staat hat in Frankreich Verfassungsrang. Stasi sieht es durch fundamentalistische Gruppen bedroht, die Druck vor allem auf Mädchen und junge Frauen ausübten, "sich asexuell zu kleiden, den Mund zu halten und zu Hause zu bleiben".

Die "Freiheit des Gewissens, die Gleichheit der religiösen und geistigen Überzeugungen und die Neutralität der politischen Macht" sind, wie die Kommission feststellt, die Pfeiler, auf denen das laizistische Frankreich ruht. Um diesen Werten wieder Geltung zu verschaffen, sollten Schleier, Kopftuch, die jüdische Kippa und "das große, vor der Brust getragene Kreuz" in den Schulen des Landes verboten sein, da sie nicht das Bekenntnis zum Glauben, sondern die demonstrative Ausgrenzung des Andersdenkenden zum Inhalt hätten. Medaillons, kleine Kreuze, "die kleine Hand der Fatima" oder der kleine Davidstern, diskret getragen, sollten weiterhin erlaubt sein. Das Ziel sei, "dass der laizistische Staat von allen unabhängig von ihren Religionen respektiert wird, damit alle glücklich sind, in Frankreich zu leben", sagte Stasi.

Rémy Schwartz, Berichterstatter der Kommission, erinnerte an die "einmalige Stellung Frankreichs unter Europas Nationen". Nur hier habe die Laizität Verfassungsrang. Die Gesellschaft habe sich jedoch seit der Trennung von Kirche und Staat, die per Gesetz 1905 fest- und vom Staatsgerichtshof 1989 für die Schulen fortgeschrieben wurde, entscheidend verändert. Frankreich sei mit einem Bevölkerungsanteil von acht Prozent Muslimen und einem Prozent Juden "die islamischste und die jüdischste Nation Europas", sagte Schwartz. Zugleich gebe es die Diskriminierung der muslimischen Jugendlichen, den alltäglichen Antisemitismus, und das Leid der Mädchen, "die uns gebeten haben, das Tragen des Kopftuches zu verbieten".

Die Kommission fordert auch Vorgaben für den öffentlichen Dienst. Dass sich Musliminnen auf Druck ihrer Männer weigerten, sich von Ärzten untersuchen zu lassen, dürfe nicht hingenommen werden; ebenso wenig wie die Forderung nach getrenntem Sportunterricht. Andererseits sollten die Behörden den Bau von Moscheen erleichtern. An den Schulen solle ein jüdischer und ein muslimischer Feiertag schulfrei sein.

Kopftuchdebatte: Johannes Rau

Aus dem Interview von Bundespräsident Johannes Rau im ZDF:

ZDF: Aktuell in der Diskussion ist der Kopftuchstreit. Frankreichs Präsident Chirac hat jetzt angekündigt, das Kopftuch und andere deutlich sichtbare religiöse Symbole wie Kreuz oder Kippa aus den Schulen zu verbannen. Können Sie sich das für Deutschland vorstellen?

Rau: Bei uns ist die Situation anders. Bei uns ist die Kultur Länderhoheit, da hat das Verfassungsgericht dieses Thema zurückverwiesen. Ich bin aber der Meinung, wenn das Kopftuch als Glaubensbekenntnis, als missionarische Textile, gilt, dann muss das genauso gelten für die Mönchkutte, für den Kruzifixus. Das wird aber in Bayern etwas anders gesehen als im Rheinland. Ich selber komme aus einer reformierten Tradition. In der gibt es den Kruzifixus nicht als Symbol.

Ich bin für Freiheitlichkeit, aber ich bin gleichzeitig für Gleichbehandlung aller Religionen. Die öffentliche Schule muss für jeden zumutbar sein, ob er Christ, Heide, Agnostiker, Muslim oder Jude ist. Und es darf nicht durch religiöse Symbole, die der Lehrer mit sich trägt, eine gewisser Vorrang oder Vormachtstellung gesucht werden.

ZDF: Aber es wird doch niemand leugnen, dass wir in Deutschland aus christlichen Wurzeln leben und nicht aus islamischen.

Rau: Wir beide ja. Aber es gibt inzwischen 3,2 Millionen Menschen in Deutschland, die nach islamischen Wurzeln leben. Sie leben unter uns und sie sind damit nicht Bürger zweiter Klasse. Und deshalb müssen wir das, was der Islam an Glaubenskraft hat, auch anerkennen. Wir müssen nur darauf achten, dass nicht die Fundamentalisten das Sagen kriegen. Weder die muslimischen noch die christlichen, denn die gibt es auch. Wir müssen darauf achten, dass Toleranz nicht Beliebigkeit ist. Das man ein eigenes Glaubensprofil haben kann und haben muss, wenn man dem anderen begegnet, weil man ihn sonst nicht achten kann.

Kapitalismus mit biblischem Antlitz

Die Ideologie hinter Bush: Ein Artikel über die religiöse Rechte in den USA.

Kopftuch und mehr in Schweden

Ein Artikel in der TAZ berichtet über die Kopftuchdiskussion in Schweden.

Dort ist man weiter. Das Kopftuch wurde dort akzeptiert. Die Diskussion kommt jetzt beim Ganzkörperschleier auf.

Allerdings geht es hier um die Bekleidung der Schüler.

So nicht

So geht es auch nicht. Laut eines Artikels in der TAZ legt Baden-Württemberg jetzt sein Anti-Kopftuch-Gesetz vor.

Allerdings ist es nur gegen Kopftücher gerichtet und stellt Muslime unter den Generalverdacht, verfassungsfeindlich zu sein.

Christliche Symbole und Kleidungsstücke (Nonnentracht) sind aber ausdrücklich weiter erlaubt.

Das Ziel muss aber sein, alle Religionen gleich zu behandeln. Also: Gar keine religiösen Bekundungen mehr in der Schule.

Mehr Kopftuchdebatte

Ein schöner Artikel bei Telepolis zum Thema Kopftuch, Religion und Säkularismus.

Der interessanteste Link führt zu Alice Schwarzer und ihre Ansichten über das Kopftuchurteil und falsche Toleranz.

Warum nur Kopftücher einklagen?

In einer Kolumne im Freitag vom 3. Oktober schreibt Arzu Toker zur Kopftuchdebatte:

Für die Muslime stellt sich grundsätzlich die Frage, ob sie in einer Gesellschaft leben möchten, in der das islamische Gesetz allenfalls eine Randerscheinung ist, in der das Rechtswesen als Grundlage der Gesellschaft dem islamischen Recht widerspricht. Frau Ludin, Sie wussten bereits als sie die Einbürgerung beantragten, welche Gesellschaft dies ist. Sie haben mit der Einbürgerung die Verfassung, das Grundgesetz akzeptiert. Oder war das nur eine Farce?


Nebenbei fordert er Frau Ludin auf, auch gegen alle anderen Rechtsgrundsätze zu klagen, die nicht mit islamischem Recht übereinstimmen. Bissig, aber wahr.

Petition gegen Gottesbezug in der europäischen Verfassung

In einer Online-Petition kann man gegen den von der Kirche und einigen Ländern (z.B. Polen) geforderten Gottesbezug in der europäischen Verfassung unterschreiben.

Aus religiösen Gründen gibt es genug Leid in der Welt. Das muss nicht in die Verfassung.

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